Der folgende Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift M+W

Autor: Wolf J.Lehner

Der verratene Verkäufer

Geschäftserfolg im Ausland ist schwierig. Meist schwieriger als hier

„vor der Haustür“ in Deutschland. Und er ist schwieriger abzuschätzen. Aber er ist die Existenzgrundlage der mittelständischen Industrie – und nicht nur der.

Sicherlich spielt Deutschland in manchen Industrie-Bereichen in der Export-Champions-League. Dies ist gut und zeigt das hohe Engagement der deutschen Industrie. Aber es sollte, es darf uns nicht zufrieden machen. Viel zu viele Segmente gingen in der Vergangenheit verloren – denken wir nur an die Unterhaltungselektronik, die Fotoindustrie, die Textilindustrie. Und die globalen Veränderungen gehen weiter.

In fast allen Branchen und Bereichen herrscht heute enormer Wettbewerbsdruck. Die Produkte werden komplexer, die Entwicklungszeiten kürzer, der Preisdruck höher. Nach wie vor sind in einigen Branchen die deutschen Produkte hervorragend. Aber der Unternehmenserfolg hängt nur indirekt vom Produkt ab. Es ist der potentielle Kunde, der über den Unternehmenserfolg letztendlich entscheidet.

Lang und intransparent ist die Liste der herausragend guten Produkte, die vom Markt nicht akzeptiert wurden. Und häufig verschwanden mit dem Produkt auch ganze Unternehmen und das Wissen um diese Produkte. Aus diesem Grund wollen wir uns hier mit den Faktoren beschäftigen, die neben dem Produkt – häufig sogar stärker als das Produkt – den Unternehmenserfolg bestimmen. Hier nun ein weiterer Aspekt des komplexen Themas.

 

Der verratene Verkäufer

 

Wenden wir uns wieder Hugo Hurtig zu.

Sie kennen Hugo Hurtig nicht? Macht nichts. Nur so viel in Kürze zu ihm: Er ist in seiner Firma einer der besten Verkäufer. Vor etlichen Jahren begann er seine Karriere als Konstrukteur, bis er aufgrund seiner exzellenten Detailkenntnisse der Produkte in den Vertrieb berufen wurde. In den letzten Jahren war er geschäftlich in fast allen wichtigen Regionen der Welt. Wie gesagt – ein profunder Kenner der eigenen Produkte und der wichtigsten Weltmärkte.

Kennen Sie ihn jetzt vielleicht doch?

Hugo Hurtig war also in den letzen Wochen wieder geschäftlich im Ausland – in Ostasien. Es war das dritte Mal, daß er zu Verhandlungen über diesen bedeutenden Auftrag zu jenem großen Kunden reiste. Es standen weitere Detailfragen zur Verhandlung. Und über den Endpreis hatte man auch noch nicht gesprochen. Es würde wohl ein zähes Ringen um Preis und Leistungsumfang werden.

Am Tag vor der Abreise besprach Hugo Hurtig die Verhandlungsstrategie und den Preisrahmen mit seinem Vorgesetzen, dem Vertriebsleiter Maier. Der nickte zu allen gut vorbereiteten Vorschlägen seines Mitarbeiters und lobte die ordentliche Verhandlungsstrategie. Und ganz zuletzt sagte er noch, daß er dann wohl in drei Tagen zum Vertragsabschluß nachkommen werde. Daß Hugo Hurtig dabei zusammenzuckte, merkte er nicht.

Die Verhandlungen beim Kunden liefen gut. Bei den vorangegangenen Treffen hatte man trotz aller kultureller Gegensätze zueinander ein Verhältnis von Respekt, ja sogar von gegenseitgem Vertrauen aufgebaut. Hugo Hurtig überzeugte durch seine Produktkenntnis und konstruktive Vorschläge. Er hatte alle Zusagen zu technischen Machbarkeitsprüfungen eingehalten und war im Kreise der vielen Anbieter der verläßlichste Gesprächspartner. Auf dieser Basis kam man gut voran. Bereits am Mittag des ersten Tages brachte der Kunde das Thema „Preis“ auf den Tisch. Hugo Hurtig klopfte geschickt die technischen und preislichen Vorstellungen des Kunden ab. Man tastete sich an ein für beide Seiten erträgliches Preis-Leistungs-Verhältnis heran. Hugo Hurtig hatte das Gefühl, daß man dem Abschluß sehr nahe sei und informierte noch schnell seinen Vorgesetzen vor dessen Abreise.

Am Abend des zweiten Tages und nach der Ankündigung, daß Herr Maier kommen werde, lobte der Kunde das technische Verständnis des Europäers und die gute technische Zusammenarbeit.

Mittags am dritten Tag kam Herr Maier direkt von Flughafen in die Verhandlungen. Den Vormittag hatte man erneut mit technischen Details zugebracht, obwohl Hugo Hurtig immer wieder das Gespräch auf die Konditionen zu lenken versuchte. Herr Maier ließ sich die Delegation des Kunden vorstellen und kam schnell auf den Punkt. „Soweit ich gehört habe, können wir ja jetzt den Vertrag abschließen.“

Der Kunde lud zum Mittagessen ein – Herr Maier fühlte es als reine Zeitverschwendung. Man redete über alles andere als den Auftrag. Dann, nach dem Essen begannen unerwartet heftige Preisgespräche. Nach und nach kippten auch die technischen Details, die bereits festzustehen schienen. Der Kunde sprach kaum noch mit Hugo Hurtig. Dieser versuchte mehrmals, seinem Chef mit technischen Erläuterungen einen Ausweg aus den Preisverhandlungen zu bahnen. Der Kunde forderte mehr und mehr Zugeständnisse, auch solche, die technisch kaum haltbar waren – und Herr Maier wollte seinen Auftrag unbedingt mit nach Hause nehmen.

Als es dunkel wurde, war keine Zeile des Vertrages abschließend geklärt. Alles war wieder offen. Widerwillig stimmten die beiden Europäer einer allerletzten Gesprächsrunde am nächsten Morgen zu.

Der Morgen kam und die beiden quälten sich müde zur letzen Verhandlungs-Chance. Der Jetlag zusammen mit dem ausgiebigen Abendessen wirkten nach. Die Gespräche drehten sich im Kreis. Mit einiger Mühe fixierte man knapp vor der Abreise in einem Memorandum die wesentlichen Eckpunkte der Gespräche und versprach sich gegenseitig, alles zu tun, um schnell zu einem Abschluß zu kommen. Doch der kam nicht. Der Auftrag ging an einen Wettbewerber, und Hugo Hurtig bekam über lange Zeit keinen Gesprächstermin mehr in dieser Firma.

Und beide berichteten nach der Rückkehr dem Geschäftsführer ihres Unternehmens: “unser Preis war zu hoch.“

Was war wirklich passiert?

Ostasien traf Europa. Technisch ging es zwar um ein eindeutig zu beschreibendes, internationales Produkt, in der Verhandlungsführung aber trennten beide Seiten Welten. Die ostasiatische Verhandlungsführung ist geprägt von der tief verwurzelten Einheit von Person und Idee. Beide Bereiche – Persönlichkeit und Sachargument – lassen sich nicht trennen. Daneben ist es gesellschaftlich nicht zulässig, einem Anderen einen „Gesichtsverlust“ zuzufügen. Der Gesprächsverlauf ist daher gekennzeichnet durch die Suche nach Übereinstimmungen zwischen der fremden Person und Argumentation einerseits und der eigenen andererseits. Das Ziel der Gesprächsführung ist die Konsensbildung der zwei (oder mehr) „Seiten“.

Hier nun erschien Herr Maier europäisch direkt mit seiner Sachkompetenz, ohne Vorher eine „Persönlichkeit“ gezeigt zu haben. Das kulturell fest gefügte Gesprächskonzept des Kunden mußte also scheitern.

Hugo Hurtig hatte über mehrere Gesprächsrunden eine Einheit von Person und Gesamtkompetenz aufgebaut. Mit seinem Erscheinen sprach Herr Maier nach ostasiatischer Lesart ihm nun vor den Augen des Kunden seine Gesamtkompetenz ab und zog einen Teil der Kompetenz an sich – warum sollte er sonst zum Abschluß erscheinen. Eine typische „Gesichtsverlust-Situation“. So hatte sich nicht nur Herr Maier selbst diskreditiert, sondern auch noch seinen Mitarbeiter beschädigt. Der hierarchisch heruntergestufte Hugo Hurtig konnte keine entscheidende Rolle in der entscheidenden Gesprächsphase mehr spielen.

Welche Gesprächs-Alternative hatte Herr Maier dem Kunden noch gelassen? Nur das Preisgespräch mit ihm. Denn er hatte noch kein „Gesicht“, keine Persönlichkeit gewinnen können, war aber Hauptgesprächspartner.

Jetzt kann man einwenden, daß der Kaufabschluß zustande gekommen wäre, wenn der Kunde ein wirkliches Interesse an dem Produkt gehabt hätte. Dies ist aus europäischer Sicht vielleicht richtig. Aus ostasiatischer Sicht bestand jedoch kaum eine Möglichkeit dazu. In einer ganzheitlichen Denk-Kultur, der die europäische Zergliederung fremd ist, war ein ganzheitlicher und vertrauensvoller Konsens nicht mehr zu erreichen. Wenn beide Personen und damit ihre Sachaussagen infrage gestellt sind, dann muß der Kunde in dieser, seiner Konsequenz auch das Produkt und die Vertragstreue in Frage stellen. Und wenn trotz Allem ein Abschluß wirklich zustande gekommen wäre, hätte der Lieferant das fehlende Vertrauen durch einen hohen Preisnachlaß teuer erkaufen müssen.

Was ist für die Zukunft zu tun?

Geschäftserfolg im Ausland ist wesentlich mehr als die Erklärung technischer Leistungsfähigkeit. Innerhalb des deutschen Sprachraumes versucht man, die Klippen zwischenmenschlicher Empfindsamkeit mit Aussagen- und Verhaltenstraining zu umschiffen. Diese Chancen werden im Auslandsgeschäft noch immer zu wenig genutzt. Die internationalität der Produkte gaukelt eine internationalität der Geschäftswelt im Besonderen und der Welt im Allgemeinen vor, die so nicht existiert. Wir müssen lernen, auf die Individualität stärker zu achten, auch wenn - oder gerade weil - der Leistungsdruck beständig zunimmt.